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lang_de Interview: Eine totalitäre Transformation....mit Bezügen zu Beobachtungen über die deutsche Sprache im "Dritten Reich", die der jüdische Sprachwissenschaftler
Victor Klemperer in seinem Buch
LTI – Notizbuch eines Philologen niedergeschrieben hat.
LTI = Lingua Tertii Imperii ‚Sprache des Dritten Reich(e)s
Ich habe dieses Buch als jugendlicher DDR-Bürger mit großer Faszination und auch Erschrecken gelesen, wie sehr Sprache sich in totalitären Systemen entwickelt. Systeme wie die DDR oder die "tausend Jahre" davor sind nicht ohne die dazu passende Sprache möglich, die übernommen wird, teils mit Freude und der festen Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen, allzu oft bewusst aus karrieredienlichen Gründen oder weil es eben der Weg des geringsten Widerstandes ist. Kants "selbstverschuldete Unmündigkeit" scheint mir ebenfalls unabdingbar für solche Systeme zu sein, also die Unfähigkeit, sich seines eigenen Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen. aus Gründen der Trägheit oder aus Feigheit.
Daher sehe ich einige Entwicklungen im Sprachgebrauch der letzten Jahre mit einigem Erstaunen, eher Fassungslosigkeit, denn Sprache ist ja "nur" der geistige Überbau von gesellschaftlichen Entwicklungen, die es ganz offensichtlich gibt.
Das Interview mit Jan David Zimmermann spricht mir daher mit vielen Aussagen aus der Seele. Als gelernter DDR-Bürger war man gezwungen, diese Art von systemkonformer Sprache einzusetzen, widerwillig - ansonsten kein Abitur, kein Studium. Immer zwei Gesichter zeigen, eins nach innen zur Familie, zu ganz engen Freunden (mit dem Risiko, dass doch einer bei der Stasi ist) und das andere Gesicht nach außen.
Man beobachtete als Schüler/Student in der DDR die Sprache und deren Auswüchse also nicht nur, sondern musste sie BENUTZEN - perverserweise auch noch einigermaßen virtuos, denn man musste sehr gute Noten haben, um im Osten Abitur machen zu dürfen, maximal drei Schüler pro Klasse in meiner Stadt. Dazu gehörten selbstredend alle Art von Bekenntnissen in schriftlichen Arbeiten, Referaten und Aufsätzen zur gerechten Sache des Sozialismus, der marxistischen Philosophie, der Dekadenz des Kapitalismus, der Führung durch die Partei als Vertretung der Arbeiterklasse usw. Bei all dem wahrte man den Schein der Freiwilligkeit mit Tendenz zur Freude an der Sache nach außen. Das war verinnerlicht.
Wie geht der Spruch? Wenn Du etwas gut kennen lernen willst, dann solltest Du es selbst machen, Beziehung, Programmieren, Dichten, Fußballspielen, Kochen...
So also auch Sprache systemkonform einzusetzen, seine ganze Jugend lang. War für ein Irrsinn im Rückblick.
Warum schreibe ich nun diesen länglichen Text? Nun ja, weil mich der heutige Sprachgebrauch fatal an die Zeit damals zu erinnern beginnt - und das in zunehmendem Maße.
Die erschreckende Botschaft ist nun: Praktisch ausnahmslos alle meine Klassenkameraden, die ich in letzter Zeit traf, empören sich über den heutigen Sprachgebrauch, sei es der öffentlichen Stellen, der Massenmedien, aber auch vieler Aktivisten aller Art, Nachbarn,... - unabhängig davon, in welchem Lager sie sich im Einzelfall verorten.